Neuroathletik ist bereits seit einigen Jahren in aller Munde. Diese innovative Trainingsform erobert zunehmend die Sportwelt. Ob Fußballer, Leichtathleten oder Boxer – viele erfolgreiche Profis ihrer Branche schwören auf Neuroathletiktraining (NAT). Damit versuchen sie die eigene Leistung stetig zu steigern. Doch was steckt wirklich hinter neurozentriertem Training? Diese Ausführungen lassen dich in die spannende Welt des NAT eintauchen.
Was ist Neuroathletik?
Neuroathletik bzw. neurozentriertes Training ist eine moderne Methode, um die sportlichen Leistungen zu verbessern. Während sich klassische Ansätze auf Muskulatur und Herz-Kreislauf-System konzentrieren, schlägt NAT einen anderen Weg ein. Jede Veränderung beginnt im Kopf – wie es so schön heißt. Das gilt genauso auch für sämtliche neurologische Prozesse. Unser Gehirn koordiniert Bewegung, Schnelligkeit und Schmerzwahrnehmung. Seinen Input erhält es von unseren Sinnesorganen. Dieses Signal wird interpretiert, woraus schlussendlich eine Reaktion entsteht. Genau hier setzt die Neuroathletik an. Bevor Muskeln, Bänder oder Sehnen in Aktion treten, muss ihnen das Gehirn den Befehl geben. Somit ist das zentrale Nervensystem der Schlüssel zur Leistungssteigerung. Die Grundidee: Je effektiver es arbeitet, umso präziser die einzelnen Bewegungsabläufe. Neurozentriertes Training wird nicht nur zur Verbesserung der sportliche Performance angewendet. Es kann auch zur Sturzprävention und Linderung chronischer Schmerzen eingesetzt werden.
Wie funktioniert neurozentriertes Training?
Neurozentriertes Training basiert auf der Verbesserung der Kommunikation zwischen Gehirn und Muskeln. Dabei spielen visuelle, vestibuläre und propriozeptive Wahrnehmungen eine wichtige Rolle. Die Idee dahinter: Durch gezielte Übungen stärkst du deine neuronalen Pfade, die für Bewegung und Körperkontrolle wichtig sind. So kannst du bestimmte Reflexe optimieren, Reakitonszeiten verkürzen und die Koordination schulen. Um beispielsweise die Körperhaltung zu verbessern, müssen Beuge- und Streckmuskeln perfekt zusammenarbeiten. Doch auch das periphere Sehen spielt dabei eine zentrale Rolle. Nur so bleiben wir im Gleichgewicht. Ansonsten würden wir zur Seite abkippen. Die Folgen: Fehlhaltungen wie z.B. Skoliose entstehen. Einfache Augenübungen schärfen die Sehkraft und können Fehlhaltungen korrigieren. Vestibuläre Reize wie Schnipsen am Ohr erhöht die Nackenmobilität. Einfache Fußmobilisierungs- und Sprunggelenksübungen verleihen dir mehr Stabilität und Sicherheit im Stand.
Für wen ist Neuroathletik geeignet?
NAT spricht eine breite Zielgruppe an. Profisportler nutzen diese Methode, um ihre Leistungen zu steigern und Verletzungen vorzubeugen. Die deutsche Fußballnationalmannschaft hat im Jahr 2014 extrem von Neuroathletik profitiert. Schließlich wurden sie sogar Weltmeister. Doch auch Hobbysportler und diejenigen, die ihre alltäglichen Bewegungen verbessern möchten, können neurozentriertes Training für sich anwenden. Sogar Senioren, bei denen die Sturzgefahr erhöht ist, verzeichnen Verbesserungen. Besonders interessant ist es für Menschen mit Bewegungseinschränkungen oder nach Verletzungen. Inwieweit sich NAT im Reha-Bereich durchsetzt, wird die Zukunft zeigen.
Was sind mögliche Vorteile des neurozentrierten Trainings?
Die postulierten Vorzüge von Neuroathletiktraining scheinen vielfältig. Zu den wichtigsten gehören:
- Verbesserte Koordination und Balance: Training der sensorischen Systeme schärft deine Körperwahrnehmung
- Erhöhte Leistungsfähigkeit: Äußere Reize werden vom ZNS besser verarbeitet
- Verkürzte Reaktionszeiten: Schnellere und präzisere Bewegungen durch eingeübte neuronale Muster
- Verringerte Sturzgefahr: Optimierte neuronale Pfade vermeiden Verletzungen
- Schnellerer Muskelaufbau: Eine starke Mind-Muscle-Connection trifft die Zielmuskeln besser
Neuroathletik: Wichtige Übungen und Tipps
Neuroathletiktraining umfasst eine Vielzahl von Übungen, die gezielt das Nervensystem stimulieren. Hier einige Beispiele:
- Augentraining: Übungen zur Stärkung der Augenmuskeln und Verbesserung der visuellen Wahrnehmung. Halte deinen Daumen 30 cm vor dein Gesicht. Bewege ihn in verschiedene Richtungen während du ihn mit den Augen verfolgst.
- Gleichgewichtstraining: Übungen, die das Gleichgewichtssystem herausfordern. Beispiel: Einbeinstand auf instabilen Unterlagen für mindestens 30 Sekunden. Diese Übungen verbessern die Stabilität und Koordination.
- Propriozeptionstraining: Übungen, die das Bewusstsein für die Körperposition verbessern. Beispiel: Balancieren mit geschlossenen Augen.
- Reflextraining: Übungen, die schnelle Reaktionen fördern. Beispiel: Fangspiele mit unerwarteten Richtungswechseln.
- Vestibuläre Reize: Schnipse neben deinem Ohr während du deinen Kopf von Seite zu Seite drehst. Diese Übung soll die Nackenmobilität erhöhen und Verspannungen lösen.
- Fußmobilisierung: Rolle deinen Fuß über einen kleinen Ball, um die Mobilität des Sprunggelenks zu verbessern. Diese Übung kann Standfestigkeit und Stabilität erhöhen.
Neuroathletik-Praxis: Individuell und vielseitig
In der Praxis kannst du Neuroathletiktraining individuell an dich und deine Bedürfnisse anpassen. Eine NAT-Einheit besteht typischerweise aus visuellen Reizen, Gleichgewichtsübungen und koordinativen Aufgaben. Wie überall gilt auch hier: Bleib konsequent am Ball, um optimale Ergebnisse zu erzielen.
Neuroathletik: Viele positive Erfahrungen auf Social Media
Glühende Verfechter teilen begeistert ihre positiven Erfahrungen mit Neuroathletik auf Social Media. Sie berichten von stärkeren sportlichen Leistungen, schnellerer Ausheilung von Verletzungen und kürzeren Regenerationsphasen. Doch die überzeugenden Effekte sind nicht nur auf den sportlichen Bereich beschränkt. Auch im Alltag profitieren die NAT-Anhänger von einem besseren Körpergefühl, gesteigerter Konzentration und leichterer Stressbewältigung. Diese individuellen Erfahrungen tragen dazu bei, dass Neuroathletik immer beliebter wird.
Neuroathletik: Das sagt die Wissenschaft
Die wissenschaftliche Basis der Neuroathletik steckt noch in den Kinderschuhen. Die genauen Mechanismen dahinter sind unzureichend erforscht. Einzelfallberichte und erste Studien liefern vielversprechende Resultate. So führte University of Cincinnati ein visuelles Training mit einer American-Football-Mannschaft durch. Im Rahmen der Studie wurde die Anzahl an diagnostizierten Gehirnerschütterungen signifikant reduziert.
Dennoch konnte NAT bisher keinen Beweis erbringen, dass die Effekte zur Performancesteigerung über denen von Placebo liegen. Dieses Phänomen dürfen wir nicht unterschätzen. Immerhin lassen sich durch Placebo die Leistungen bis zu 8% verbessern.
Großangelegte Humanstudien zur Effektivität des Neuroathletiktrainings existieren bislang nicht. Kognitives Training ist somit noch weit von wissenschaftlicher Evidenz entfernt. Hier dürfen wir gespannt sein, was die Zukunft bringt.
Neuroathletik: Experten üben Kritik
Trotz der positiven Berichte betrachten Experten das Thema Neuroathletik kritisch. So bemängeln sie insbesondere die fehlende wissenschaftliche Evidenz. Postulierte Effekte beruhen lediglich auf theoretischen Grundlagen, Tierexperimenten oder persönlichen Erfahrungsberichten. Daher ist es wichtig, dass wir aktuelle Forschungen in diesem Bereich im Auge behalten. Solange keine validen Daten vorliegen, solltest du überschwängliche Erfahrungsberichte immer kritisch hinterfragen und mit gesunder Skepsis begegnen.
Fazit: Neuroathletik – Revolution oder Hype?
NAT ist ein spannendes Forschungsgebiet und eine innovative Methode. Mit kognitivem Training die Leistung optimieren und die Bewegungsabläufe verbessern? Es scheint ein vielversprechender Ansatz zu sein. Tatsächlich könnte Neuroathletik großes Potenzial besitzen, um die sportliche Leistung zu steigern. Umfangreiche Humanstudien, die diese theoretischen Grundlagen beweisen, fehlen bislang. Es konnte also nicht systematisch gezeigt werden, dass NAT gegenüber Placebo überlegen ist. Athleten und Trainer sollten daher keine zu hohen Erwartungen an neurozentriertes Training stellen. Dennoch kann es sich lohnen einzelne Übungen auszutesten. Vielleicht ist Neuroathletik für dich genau die Antwort auf deine gesundheitlichen Herausforderungen im Alltag.
Autorin: Fanny Patzschke
Apothekerin, staatlich geprüfte Ernährungsberaterin, lizenzierte Fitnesstrainerin, zertifizierte Yogalehrerin, Vegan Raw Chef
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- Lienhard, L.: Training beginnt im Gehirn: Mit Neuroathletik die sportliche Leistung verbessern, 1. Auflage, Riva Verlag, 2019
- Ferrauti, A.: Trainingswissenschaft für die Sportpraxis: Lehrbuch für Studium, Ausbildung und Unterricht im Sport, 1. Auflage, Springer Verlag, 2020
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Spannendes Thema. Hatte noch nie davon gehört bis ich auf deinen Beitrag gestoßen bin.
Das ist für mich ebenfalls weitestgehend Neuland. Aber ich fand das Thema auch extrem interessant. Deshalb wollte ich es unbedingt teilen.